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Von 0 auf Feature in 1,5 Tagen

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Von 0 auf Feature in 1,5 Tagen

Ist es möglich, die Grundlagen eines Features in 1,5 Tagen zu lernen? Das ist die Aufgabe für die 25 Nicht-Journalisten, die in kurzer Zeit mit den journalistischen Werkzeugen vertraut gemacht werden, um im Anschluss selbst zu publizieren. Wie gut das funktioniert entscheidet am Ende der Leser.

Die Stille im Seminarraum wird nur von den Tastaturtönen der Laptops unterbrochen. Satzteile werden hin und her geschoben und die Entfernen-Taste ist der beste Freund an diesem Tag. Die Köpfe rauchen, jeder Teilnehmer ist vertieft in seine eigenen Formulierungen. Es ist gar nicht so einfach, einen guten Artikelkopf zu schreiben. Heute haben die 25 Schüler der CLASS THREE der Shiftschool den „journalistischen Werkzeugkasten“ auf der Agenda. Wird es dem Journalismustrainer Maximilian Gaub an diesem sonnigen Wochenende gelingen, den Unerfahrenen Neu-Redakteuren beizubringen, wie man ein Feature schreibt?

Was ist überhaupt ein Feature?

Ein Feature bedeutet auf Englisch Merkmal, Charakteristik und ist eine journalistische Darstellungsform. Es ist eine Sonderform der Reportage die sich durch „dramaturgische Gestaltung und bildhafte Sprache“ auszeichnet. Dass Kinder bis zum 6. Lebensjahr die Welt nur in Bildern erfassen, erklärt, warum die bildhafte Sprache so bedeutend ist. Schließlich lässt eine gute Geschichte Bilder im Kopf des Lesers entstehen.

Die Perlenkette

„Stellt Euch den journalistischen Text wie eine Perlenkette vor“ sagt Maximilian während er eine senkrechte Linie mit 6 Perlen daran auf das Flipchart zeichnet. Die Kette besteht aus dem Roten Faden der Geschichte: Eine Behauptung, eine These. An ihr aufgereiht sind die Perlen, die Argumente für die These. Die Perlenkette stellt die Dramaturgie dar, die wiederum nach dem Prinzip „Szene – Erzähler – Experte“ aufgebaut ist. Die szenische Beschreibung soll die Sinne des Lesers ansprechen und vor dessen geistigem Auge ein Bild erzeugen. Der Erzähler treibt die Geschichte voran und der Experte kommt zu Wort wenn es gilt, das Gesagte mit Fakten zu belegen.

„Welchen Titel würde eine Biographie über Dich haben?“

Um zu verstehen, was eine gute Überschrift ausmacht, dürfen die Teilnehmer eine gedankliche Reise in ihre eigene Zukunft machen und die Frage beantworten: „Welchen Titel würde eine Biographie über Dich haben?“. Gaub’s Beispielsatz „Er wurde nie erwachsen – er lernte sich nur zu benehmen“ dient den Teilnehmern als Inspiration ihre Vorstellung auch in einen knappen Satz zu packen. Widersprüche, so lernen sie, gehören in jede gute Geschichte. So macht beispielsweise ein „Mit Lachen leichter durchs Leben – meistens“ neugierig auf die Geschichte hinter diesem widersprüchlichen Satz.

Der Artikelkopf als Kurzinfo für den Online-Leser

„Stellt euch einen ADHS kranken Vater vor, der an Heiligabend noch alle Geschenke besorgen muss“. Dieses wenig schmeichelhafte Bild zeichnet Gaub vom Online-Leser. Dieser hetze von Schaufenster zu Schaufenster ohne genau zu wissen, was er eigentlich sucht. Abhilfe für ihn verspricht der Artikelkopf. Dieser übernimmt die erste Einleitung, auch Teaser genannt. Wenn ein Artikel online publiziert wird, entscheidet der Artikelkopf ob der Online-Leser überhaupt auf den Weiterlesen-Knopf klickt. Konkret ist der Artikelkopf in 5 Punkte gegliedert, die entgegen ihrer Entstehungsreihenfolge anders angeordnet werden. Die Dachzeile ordnet den Beitrag ein und wird auch als Keywort, Etikett oder Kategorie bezeichnet. Die Überschrift, zu der man sich als letztes durcharbeitet, zeigt im Idealfall die Darstellungsform und muss den Beitrag konkret erklären. Sie ist das Schaufenster, das den „Ladeninhalt“ in diesem Fall den Artikelinhalt zeigt.

Diese zwei Gesellen sind innerhalb der 5 Punkte die zwei Wichtigsten. Ihnen obliegt die schwere Aufgabe, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen. Wenn ihr bis zu diesem Absatz gekommen seid, ist das sozusagen der Beleg für diese These. Als nächstes kommt ein Satz zur Kontaktaufnahme. Hier nutzt man Szenen, Beispiele oder Illustrationen um den Kernsatz zu verdeutlichen. Gleich anschließend folgt der Kernsatz, der auch als eine Art „Küchenzuruf“ die gesamte Geschichte in einem Satz fasst. Und last but not least dient ein Satz als Rampe. Diese stellt den Nutzwert oder die Art des Beitrags heraus und dient auch als Cliffhanger.

Warum das journalistische Dreieck so wichtig ist

„Behaltet das journalistische Dreieck im Auge“ mahnt der Experte die Teilnehmer. Denn nur wer das Dreieck aus Relevanz – Nutzwert – und Emotionen beherrsche, kann auf eine Publizierung hoffen. Der schönste Text nutzt nix, wenn er für das gewählte Medium keine Relevanz hat. Eine zeitliche Relevanz wäre beispielsweise, dass ein Artikel über eine Weihnachtsbäckerei nicht im Frühling veröffentlicht wird. Hier ist Google Trends ein guter Ratgeber, um den Zeitgeist zu erforschen und die relevanten Themen zu finden zu denen die potentielle Zielgruppe etwas lesen will. Zur Relevanz gesellt sich der Nutzwert und geht Hand in Hand mit. Wer keinen Nutzwert liefert, wird bestraft, indem der Leser nicht bis zum Ende durchhält. Zudem ist jede gute Geschichte gewürzt mit Emotionen. Freud, Leid, Konflikte und natürlich auch Sex, Prominenz, etc. machen das Salz in der Suppe aus.

Nach 1,5 Tagen: Stolz

Stolz ist es, der am Ende des zweiten Tages den Raum erfüllt. Stolz der Teilnehmer darauf, dass Sie mit einem Artikelkopf und den ersten 2 Perlen nach Hause gehen können. Die meisten haben ihr Thema gefunden, sie schreiben einen Artikel der sich – natürlich – mit dem Thema Digitalisierung befassen wird. Jetzt gilt es weiter zu recherchieren, das Gelernte umzusetzen, den Text immer wieder zu schleifen und sich Gedanken über mögliche Publikationsseiten zu machen. Maximilian Gaub hat sein Bestes gegeben, um die Unerfahrenen mit den Werkzeugen auszustatten, die ein gutes Feature ausmachen. Was jeder Einzelne daraus macht, wird man in Kürze lesen können.

Sevi

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